Start in den zweiten Teil

Zum zweiten Mal Fehlstart

 

Langstreckenflug ist halt öd, weil man die Nacht im Flugzeug zusammengepfercht verbringen muss. Aber mit der Freiheit vor Augen, wieder fünf bis sechs Monate reisen zu können, geht’s so.

 

Valentin ist informiert über unsere Ankunft, steht bereit und bringt uns in seinem Auto vom Flughafen Mendoza zu sich nach Hause, wo ja unser Toyota die vergangenen sieben Monate verbracht hat. Valentin hat unser Auto bereits in die vorderste Reihe ausfahrbereit hingestellt. Sein Schuppen ist mittlerweile voll von Overlander Fahrzeugen. Europäische und amerikanische Nummernschilder.

 

Einsteigen, Schlüsseldrehen. Toyota läuft. Wir fahren raus aus dem Schuppen und hinter sein Haus gleich nebenan, wo ja der «Campingplatz» ist. Irgendwie fühlt es sich an wie heimkommen. Wir wissen ja, wie es hier läuft. Dann unser Gepäck verstauen; das Auto ist mittlerweile wirklich knallvoll.  Im Haus von Valentin duschen. Kurz in den Supermarkt um die Ecke. Entspannen, wir sind angekommen.

 

Das Wetter in den Anden ist sehr schlecht. Massive Schneefälle, die auch weiter andauern. Der Übergang nach Chile (Scheiteltunnel auf ca. 3100müM) ist geschlossen. Tausende LKWs stauen sich und werden in Mendoza in Warteräumen zurückgehalten. Wir warten ab. Haben ja Zeit bis 31. August um über die Grenze zu gehen, weil dann unser TIP (temporäre Einfuhrbewilligung für den Toyota) nach acht Monaten abläuft.

 

Es gibt ohnehin noch ein paar Dinge zu tun. Am nächsten Morgen zum Beispiel das Durchwechseln der Räder. Dann ist Feiertagswochenende zu Ehren von General San Martin, der hier die Anden überquerte. Also arbeitet am Montag niemand.

 

Wir nutzen die Gelegenheit, um die Gegend von Mendoza etwas zu erkunden und fahren in die Weinregion Valle de Uco. Von dort kommt der beste argentinische Malbec. Wir kaufen eine Flasche in einer Vinoteca. Die mundet uns aber nicht.

 

Leider hängen die Wolken so tief, dass man die Berge hinter dem Tal – ausser dem untersten, frisch verschneiten Rand –auch von einem schönen Aussichtspunkt aus nicht sieht.

 

Zurück in Palmira bei Valentin gibt’s einen Termin für Ölwechsel und zur Kontrolle aller Flüssigkeiten. Das bei einem älteren Herrn, der schon fünfzig Jahre eine Garage hat und in der Freizeit (oder wenn er keine Arbeit hat) Oldtimer restauriert. Diese sind hier aufgereiht und unser Toyota ist fast ein Fremdkörper in dieser Halle.

 

Dann wieder so etwas Typisches für Südamerika: Der Reissverschluss an meiner Trekking Hose ist kaputt gegangen. Wie findet man jemanden, der den ersetzen kann? Wir gehen in ein Modegeschäft und fragen. Man empfiehlt uns eine Mercerie zwei Strassenblocks weiter. Dort: «Ja, selbstverständlich. Machen wir. Abholung morgen Abend. Wir senden ein WhatsApp, wenn die Hose geflickt ist.» Und so ist es dann auch. Kosten tut es 2.20 Franken.

 

Valentin hatte eine Bäckerei (die Autos sind in der ehemaligen Produktionshalle parkiert) und ist auch ausgebildeter Önologe. Wir fragen ihn zum Thema Malbec Degustation und er empfiehlt eine Boutique in der Nähe, die uns beraten kann. Wir möchten herausfinden, wie sich billige Malbecs von teureren unterscheiden. Wir werden tatsächlich sehr fachkundig beraten und nehmen vier unterschiedliche Flaschen mit, die es zu kosten gilt.

 

Beim Ausflug ins Valle de Uco müssen wir feststellen, dass unsere neun Jahre alte Versorger-Batterie (Heizung, Kühlschrank, Strom für Licht etc.) die sieben Monate nicht heil überstanden hat. Sie lädt nicht mehr.

 

Valentin empfiehlt uns, über Mercadolibre (analog Amazon bei uns) eine neue zu bestellen. Also recherchieren im Internet. Wir entscheiden uns für die offenbar meistverkaufte AGM Batterie für Camper und bestellen. Dazu brauchen wir die Sozialversicherungsnummer von Valentin, sonst würde es nicht gehen.

 

Die Lieferfrist beträgt rund drei Tage und die Lieferung erfolgt prompt. Interessant: Man erhält per Email ein Geheimwort, das man dem Lieferanten sagen muss, bevor er das 30 Kilogramm schwere Packet ausliefert. Zu dritt (mit Valentin) bauen wir die alte aus und die neue ein. Alles wieder gut.

 

Wir feiern das mit einer Einladung von Valentin und seiner Frau Jaqueline beim Mittagessen (Fischsuppe mit Kichererbsen) und bringen drei unserer Malbecs mit (eine Flasche war nur noch halb voll; smile). Dann erleben wir den Önologen Valentin, wie er den Wein degustiert und erklärt. Es entwickelt sich so eine interessante, zum Teil fast philosophische Weindiskussion, weil ja nicht jeder jeden Wein gleich gut findet. Aber wir können tatsächlich Unterschiede erkennen, wobei auch hier teurer nicht unbedingt besser heissen muss. – Und das Ganze mit unserem radebrechenden Spanisch…

 

Die Situation in den Bergen hat sich nicht klar entspannt. Es sind weitere Niederschläge angesagt und niemand kann sagen, wie es abläuft, wenn wieder geöffnet wird. Die LKWs dürften vor den Touristen Priorität haben und eventuell müssten wir Ketten mieten und montieren, um durchgelassen werden.

 

So entscheiden wir, statt nach Chile (ca. 220km zur Grenze) nach Uruguay (1200km zur Grenze) zu fahren. Nehmen uns genügend Zeit dafür. Machen dort das neue Dokument und kommen dann zurück zu den Anden.

 

Also quasi ein weiteres Mal Fehlstart zu Beginn einer Reise.

 

Argentinien Durchquerung zweimal

 

Die Fahrt nach Osten geht zügig voran. Ab und zu unterbrochen durch eine kleine Mautzahlung. Am ersten Abend stellen wir uns mangels anderer Plätze auf einen Truck Stopp hinter eine Tankstelle. Das schöne an solchen Orten ist, dass die WCs sauber sind und man für ein kleines Entgelt auch in einer sauberen Dusche duschen kann. Auch eine kleine Raststätte gibt es.

 

Natürlich ist uns bewusst, dass es bei einem Truck Stopp des Nachts gewisse Emissionen geben kann, haben aber gehofft, dass so um Mitternacht wohl alle Fernfahrer genug hätten von der Fahrerei und sich hier schlafen legen. Wir liegen etwas falsch. Mehr oder weniger die ganze Nacht ist Betrieb und auch morgens um halb drei kommen noch LKWs zum Parken und wir (oder zumindest ich, Tom) stehen im Bett ob des «Piep-piep-piep» beim rückwärts einparken der Sattelschlepper.

 

Nicht ganz ausgeschlafen gehts weiter nach Osten und gegen Abend erreichen wir den Rio Paraná bei Zárate, wo wir gleich gegenüber der Stadt einen passenden Campingplatz finden.

 

Die Blicke der Argentinier, die hier ihren Sonntag bei Tages-Camping (sehr üblich in Argentinien; beim Eindunkeln gehen alle nach Hause) verbringen, fallen uns schon beim Hineinfahren auf den Platz auf; und wir haben noch nicht richtig geparkt, stehen schon rund zehn Personen um unser Auto, drücken ihre Bewunderung aus und stellen Fragen zum Auto und woher, wohin undsoweiter. Nach knapp zehn Minuten beglückwünschen sie uns nochmals und ziehen sich dann zu ihren Plätzen zurück. Wir atmen durch und richten uns ein.

 

Anderntags fahren wir quasi auf der Zielgeraden Richtung Uruguay. In der argentinischen Grenzstadt müssen wir aber noch eine neue Birne für das Hecklicht organisieren. (Stopplicht geht nicht mehr.) Der Verkäufer hat sie uns dann auch gleich noch gewechselt. Soweit so gut.

 

Bald darauf überqueren wir den Grenzfluss Rio Uruguay und tauschen unser argentinisches TIP gegen ein neues uruguayisches. Die Grenzstadt auf Seite Uruguay heisst Fray Bentos. Irgendwie fällt uns dieser Wechsel von einem Land ins andere positiv auf. In Uruguay ist alles etwas ruhiger, geordneter, verglichen mit der Grenzstadt auf argentinischer Seite. Jedenfalls fühlen wir uns wohl. Wir übernachten gratis (weil Zwischensaison) auf einem Campingplatz in einem Feriendorf etwas südlich. Dusche, WC und Frischwasser sind verfügbar. Ein guter Service.

 

Am nächsten Tag geht es also wieder zurück nach Argentinien. Wir waren ja nur hier für ein neues argentinischen TIP. Unsere Erwartungen, ein Dokument für acht Monate zu erhalten, werden aber enttäuscht. Erstens merkt der Zöllner natürlich, dass wir erst gestern nach Uruguay eingereist sind und heute schon wieder ausreisen, und andererseits sieht er, dass wir schon ein TIP für acht Monate hatten. Er gibt uns nur 90 Tage. Meine Frage, warum wir denn bisher immer acht Monate erhalten hätten, kann er nicht beantworten, beruft sich aber auf eine Verordnung, dass Personen und Fahrzeug immer dieselbe Anzahl Aufenthaltstage haben müssen. Das ist eigentlich logisch. Wir haben ja auch nicht wirklich verstanden, warum Personen 90 Tage und deren Fahrzeug 240 Tage erhalten. Aber uns hat es natürlich sehr genützt, weil wir sonst ja schon nach rund zweieinhalb Monaten wieder hätten zurückreisen müssen. OK, 90 Tage also. Das reicht uns, um in Argentinien noch zu sehen, was wir sehen wollen.

 

Somit beginnt die Rückfahrt nach Mendoza. Dies aber nicht auf demselben Weg, sondern etwas nördlicher über Santa Fe und Cordoba. Wir wollen uns dafür auch etwas mehr Zeit nehmen.

 

Die Kilometer in der Provinz «Entre Rios» (also zwischen den Flüssen Paraná und Uruguay) sind langweilig. Speziell ist einzig die Unterquerung des Paranás in einem Tunnel. (Die Zentralregierung erlaubte den Bau einer Brücke nicht, deshalb baute man den teuren Tunnel...)

 

Nach Santa Fe sind wir wieder in der Pampa; flaches Land, gerade Strasse. Nur der Abstecher ans Mar Chiquita bei Miramar bringt noch etwas Abwechslung. Wir erleben, wie starker Wind den Staub der ausgetrockneten, abgeernteten Felder aufwirbelt und die Weitsicht beträchtlich einschränkt.

 

Mar Chiquita ist ein abflussloser Salzsee mit bis zu 35 Prozent Salzgehalt. Miramar daher ein Ferienort; aber ein sehr bescheidener. Fotosujets sind die abgestorbenen Bäume am Ufer und die Flamingos. Flamingos zu fotografieren passt offenbar Theres’ Kamera nicht. Sie gibt von einem Foto aufs andere den Geist auf; will heissen, die vermeintlichen Fotos sind nur schwarz. Anfrage bei Nikon hängig. (Ausgang der Sache siehe weiter unten.)

 

Um ein Uhr nachts müssen wir wieder einmal wegen aufkommenden Windes und starker Böen das Dach schliessen und in unsere «Notschlafstelle» wechseln.

 

Unser nächstes Ziel ist Villa General Belgrano, in der Bergkette südwestlich hinter Cordoba gelegen. Einmal mehr hunderte Kilometer flaches Land. Dann aber hinein in die Hügellandschaft. Eine gute Abwechslung für das Auge. Wir sind halt einfach besser vertraut mit Hügeln und Bergen als mit topfebener Pampa…

 

Hier interessiert uns der Campingplatz «Veilchental», der von einem Schweizer betrieben wird. Tatsächlich: Roger’s Vater ist hierher ausgewandert und Roger ist hier geboren. Er lebte aber eine Zeit lang in der Schweiz (spricht perfekt Dialekt), entschied sich dann aber mit seiner Frau (Argentinierin, die sehr gut Hochdeutsch spricht), dass er sich in Argentinien auf seinem ökologisch betriebenen Kleinbauernhof wohler fühlt als in der Schweiz. Auch wir fühlen uns hier wohl, sind die einzigen auf diesem Platz in einem kleinen bewaldeten Tal.

 

WCs und Duschen sind weit überdurchschnittlich, was wir mittlerweile sehr schätzen und uns auch einen Preis wert ist.

 

Ganz speziell ist hier, dass der Platz mit «Laienkunst» (oder ist es «Art brut»?) quasi «veredelt» worden ist. (siehe Fotos) Überall gibt es noch etwas zu entdecken, was einen schmunzeln lässt. Daneben gibt es ein paar neugierige Hunde, Hühner, die etwas zum Picken suchen und auch zwei kräftige Wollschafe.

 

Wir besuchen kurz Belgrano mit seinem pseudo-deutschen Kitsch.

 

Der weitere Weg nach Westen führt über einen rund 2200 Meter hohen Pass auf einer sehr gut ausgebauten Strasse. Sieht ein bisschen aus wie am Gotthard Pass. Das typische an diesem Bergzug ist jedoch, dass er von Osten her sanft ansteigt und im Westen relativ steil abbricht. Beim Kaffee und «Media Lunas» (süsse Gipfeli) auf der Passhöhe werden wir von Enrique angesprochen, der unser Auto schon fotografiert hat, weil es ihm so gut gefällt. Er empfiehlt uns, die alte Passstrasse für den Weg ins Tal zu nehmen und lädt uns zu einer Parillada ein, dann könnten wir noch etwas übers Reisen reden, denn in drei Jahren ist er auch «jubilado» (pensioniert) und will zumindest in Argentinien herumreisen.

 

 

Wir fahren also die alte Passstrasse hinunter, welche einspurig und grösstenteils «ripio» ist; gewisse Asphaltfetzen sind aber noch erkennbar. Ab und zu kommen Biker bergauf entgegen. Weiter unten dann, heute ist Samstag, die Locals am Picknicken an diversen Badestellen am Flüsschen.

 

Das Haus von Enrique finden wir problemlos, ab er es ist niemand da. Keine Ahnung, ob sie noch kommen und wann. Wir lassen unsere Visitenkarte zurück und fahren halt weiter. (Über das Kontaktformular unserer Webseite schreibt uns Enrique später, dass sie am Pass aufgehalten wurden. Schade, wir sind jetzt schon 130km weiter westwärts.)

 

Unser Übernachtungsort heisst San Francisco del Monte de Oro – was für ein Name. Aber was hier sicher nicht glänzt wie Gold sind die Campingplätze. Es hat deren vier, aber die ersten drei fallen bei uns klar durch; teils ist gar niemand anwesend. Doch der vierte passt. Wir treffen auf den Argentinier Nico, der mit seiner brasilianischen Partnerin im Van unterwegs ist. Der Platz gehört Daniel, ein ehemaliger Lastwagenfahrer, der hier versucht, den Campingplatz zu entwickeln. Er ist sehr offen, kommunikativ und ein echter Dienstleister. Etwas das man in Argentinien eher selten findet. Die Dusche ist natürlich schon eingeheizt.

 

Wir unterstützen seine Bemühungen, indem wir ihm die App iOverlander zeigen und ihm einen Eintrag machen mit einer Empfehlung. Auf Google Maps ist er schon…

 

Da fährt noch Riccardo (war schon in Bern) vor und bringt Nico die saubere Wäsche zurück. Was für ein Service. Da hängen wir uns gleich an. Riccardo wäscht für uns über Nacht, und am Sonntag (!!!) um 10 Uhr morgens können wir die frische Wäsche bei ihm abholen. Als wir an seiner Adresse pünktlich vorfahren, sitzt er vor dem Haus und winkt uns. Normalerweise arbeite er am Sonntag nicht, aber wenn man jemandem einen Gefallen machen könne, mache er die Ausnahme gern. Genial.

 

Weiter geht’s in Richtung Mendoza. An unserem Weg liegt der Parque National de las Quijadas. Ein schöner Canyon, Erosion in Reinkultur. 220mio Jahre alt. Auch Dinosaurierspuren sind hier zu finden.

 

In Richtung Mendoza (R142 Süd) dann plötzlich Sanddünen, die uns spontan an die australische Simpson Desert erinnern. Nur ist dort der Sand noch etwas rötlicher.

 

Gegen Abend erreichen wir dann wieder Palmira. Valentin, bei dem wir uns ein weiteres Mal angekündigt haben, erwartet uns schon zum freudigen Wiedersehen.

 

Diese Basis zu haben ist einmal mehr ideal für uns. Hier kennen wir uns mittlerweile aus, können allenfalls auf Valentins Kontakte zurückgreifen und somit unsere to do’s rasch erledigen, bevor es dann hoffentlich bald Richtung Anden und nordwärts geht. – Die Rundreise für das neue Zolldokument ist also abgeschlossen.

 

Theres’ Kamera: Nachdem der Nikon Support in der Schweiz telefonisch nicht helfen kann (Email Anfragen werden nach ca. 5 Arbeitstagen beantwortet) und auch die Internet Foren dazu nichts Gescheites wissen, empfiehlt uns Valentin (unglaublich, seine Kontakte und Hilfsbereitschaft) einen Kollegen, der ein Fotogeschäft hat. Mauricio ist tatsächlich in der Lage, das Problem nach 15 Minuten Analysearbeit zu lösen. Ein Kontakt beim Liveview Hebel muss gereinigt werden. Alles wieder ok! Und das Ganze gratis. Vielen Dank!