Zweimal sieben Seen

Die Entscheidung

 

Irgendwann ein paar Wochen vor Weihnachten treffen wir die Entscheidung, dass wir uns für Weihnachten, das wir zum ersten Mal seit wir eine Familie sind nicht zuhause feiern, statt Dachbett mal für ein paar Tage und Nächte eine «Cabaña» leisten wollen. Diese soll natürlich eine gute Internetverbindung haben, damit wir mit «zu Hause» eine Videoverbindung machen können.

 

Die zweite Entscheidung ist etwas schwieriger: Wo sollen wir reservieren? Wo ist noch etwas frei über die Weihnachtstage? Zum ersten: Es gilt abzuschätzen, in wievielen Tagen wir wo sein könnten. Für Langzeitreisende eine sehr hohe Herausforderung, denn Pläne können sind ändern oder ändern sich ständig. Mal mehr, mal weniger. Also treffen wir die Entscheidung, dass wir so um den 23. Dezember in Trevelin, Argentinien sein werden.

 

Booking.com hilft uns, das Gewünschte zu finden. Ein »Tiny House» bei Gabriel etwa 12 Kilometer ausserhalb des Städtchens, bei Weinbergen.

 

 

Zu früh da

 

Es kommt so, wie wir vermutet haben. Wir legen doch mehr Weg zurück und sind zu früh in Trevelin. Ist aber kein Problem, man bringt die Zeit immer rum; entweder mit Geld suchen (siehe alle Bemerkungen zu Western Union (WU) in diesem Blog) oder mit einem Kurzaufenthalt in einem schönen Nationalpark.

 

 

Geld suchen

 

Wiedereinmal muss eine Geschichte dazu hier in den Blog: In Esquel, rund 30 Kilometer von Trevelin, wollen wir diverse offene Transaktionen beziehen. Also hinfahren. Wir finden den »Kiosko Hollywood» (so hiess der wirklich), wo man diese Dienstleistung des Geld Auszahlens erbringt. Drinnen nachgefragt erhalten wir die Laufnummer 16.  Es ist 12:20. Um 13:00 Uhr beginne man mit der Auszahlung der Transaktionen. Wir suchen uns ein Sandwich und sind pünktlich zurück. So um 13:20 beginnt dann das Auszahlen. Die Nummer 1 darf in den Kiosko Hollywood und Geld beziehen. Draussen stehen 10-20 Personen und hoffen.

Nach rund einer Stunde Wartezeit frage ich mal nach, welche Nummer denn an der Reihe sei: Die Nummer 5. Hmmm. Nach weiteren etwa 10 Minuten tritt der Kioskleiter unter die Tür und verkündet, dass leider für heute kein Geld mehr da sei und man es morgen wieder versuchen solle. Mit Nummer 16 waren wir also in jedem Fall chancenlos, an Geld zu kommen. Rund 15 Personen trotten geldlos von dannen. Wir fragen noch, ab welcher Uhrzeit denn diese Nummern verteilt werden. 12: 00. Aha. Man kann sich vorstellen, dass die Leute ab ca. 11 Uhr die «fila» formieren, um dann um 12 Uhr eine möglichst tiefe Nummer zu ergattern, um ab 13 Uhr vielleicht Geld zu bekommen. So läuft das hier.

 

Aber nicht mit uns. Wir beschliessen, dass wir auf das billige WU Geld vorläufig verzichten und somit kurzfristig unsere Reisekosten hiermit verdoppeln. Wir beziehen unsere nächsten Bargeldraten an den Geldautomaten (wenn die Karte akzeptiert wird…). Dort gibt’s pro Bezug aber maximal ca. 70 Franken. Und manchmal sind die Automaten am Nachmittag auch leer, wie man sogar auf dem Bildschirm lesen kann.

 

Lieber verbringen wir unsere Zeit in einem Nationalpark.

 

Nationalpark Los Alerces

 

Der Nationalpark heisst so, weil man dort noch Alercen findet, eine Zypressenart, die mehrere tausend Jahre alt werden kann. Leider gibt es genau einen Baum, der in fussläufiger Reichweite zu erreichen ist. Weitere Exemplare müssten per Bootsausflug angesteuert werden. Wir verbringen also dort einen Tag mit einer kleinen Wanderung zu diesem erreichbaren Baum und einer Campingplatzübernachtung, wo wir auch zwei weitgereiste Landcruiserfahrer aus Zwickau treffen und unsere Antarktis Agentur empfehlen können.

 

Dann ist der 23. Dezember. Wir stocken noch unsere Bargeldvorräte auf, weil das Tiny House bar oder per Banküberweisung zu bezahlen ist. Wir haben wirklich versucht, eine Zahlung von einer Schweizer Bank auf eine argentinische Bank in argentinischen Pesos zu machen. Man muss froh sein, wenn das Online Banking der Schweizer Bank nicht abstürzt. Also: Zahlungen in argentinischen Pesos geht online nicht.

 

 

Die Weihnachtstage

 

Dann treffen wir Gabriel, unseren Vermieter und ziehen für drei Nächte ins Tiny House ein. Es liegt an einem sanften Hang etwas über der Flussebene. Eine herrliche Aussicht auf die umliegende Natur. Das Haus ist wirklich «tiny» und somit etwas gewöhnungsbedürftig, was das Kochen und das Schlafen betrifft. Wir erleben aber im Ganzen entspannte Weihnachtstage mit Ausnahme einer Migräne bei Theres ausgerechnet am Heiligen Abend. Weihnachten feiern wir als Familie zum ersten Mal, seit wir Kinder haben von diesen getrennt. Daher sitzen wir nur virtuell über einen Videocall im Wohnzimmer in der Schweiz, können uns mit Kindern und Grossvater gut unterhalten und auf Weihnachten anstossen.

Als wir draussen vor dem Häuschen sitzen, bringt uns Gabriel ein Bier vorbei und im Gespräch mit ihm erfahren wir viel darüber, wie man in Argentinien so lebt und welches die Probleme des Landes sind (Politik, Wirtschaft), beziehungsweise wie er sie erlebt. Interessant ist bei ihm, dass er schon als Musiker in Spanien (kanarische Inseln) in Hotels gearbeitet hat und darum durchaus einen Eindruck hat, wie Europa funktioniert und somit einen Vergleich zu Argentinien hat. Bei unserer Abreise stellt sich dann noch heraus, dass er sein Anwesen hier eigentlich verlaufen möchte, um nach Spanien zurückzukehren. Das Problem ist aber, dass ihm niemand den verlangten Preis zahlen kann und schon gar nicht in US Dollars; so wie es im argentinischen Immobilienmarkt üblich ist. Er verspricht sich ein besseres Leben in Europa, so wie viele jüngere Argentinier, die wir bis hierhin getroffen haben und mit denen wir solche Themen diskutieren konnten.

 

Vor unserer Abfahrt fragen wir ihn noch, ob er jemanden kennt in Salta. Wir suchen dort in ein paar Wochen eine Langzeit-Parkmöglichkeit. Ein Kontakt, den wir aus iOberlander angegangen sind, hat nicht reagiert. Gabriel schickt uns zu Sergio, der unten in der Ebene in seiner Vinery einen Campingplatz mit angeschlossener Bodega (Weinhandlung) betreibt und der uns evtl. weiterhelfen kann.

Bei Sergio werden wir offen willkommen geheissen und können unser Anliegen vorbringen. Sein Sohn ist hier, er hat aus dem Weinbau-Studium Kollegen aus dieser Gegend im Norden. Diese will er mal fragen. Wir tauschen Kontaktdaten aus und warten mal ein paar Wochen ab, ob sich was ergibt.

 

An der Tankstelle

 

An der Tankstelle in Trevelin (Um sicherzustellen, dass wirklich Diesel in den Tank geht, steige ich wie immer aus, obwohl selber tanken in Südamerika keine Option ist. Das macht immer der Tankwart.) ergibt sich wiedereinmal so ein Tankstellengespräch mit den Tankwarten:

 

Tankwart 1: Woher kommt ihr? (Kennt offenbar das Schweizer Kennzeichen nicht)

Ich: Aus der Schweiz

Tankwart 1: Federer

Ich: Ja, genau. Die Schweiz hat den Federer aber ihr seid ja jetzt Fussball Weltmeister und habt den Messi.

Tankwart 1: (stolz) Genau, wir haben den Messi. Ihr habt Federer, wir haben Messi.

Tankwart 2: Hast du eine Federer Münze?

Ich: Was?

Tankwart 2: Eine Münze mit Federer drauf. Das gibt es.

Ich (ich erinnere mich): Nein, habe ich nicht. Warum?

Tankwart 2: Ich hätte sie dir gleich abgekauft. Ich bin ein Federer Fan.

Seenlandschaften

 

Die Fahrt nach Bariloche führt uns zunächst durch trockenes Pampa Land und dann wieder in die bewaldete Region näher an der Kordillere. Hier beginnen auch die Seen zwischen den Bergen.

Da wir ja in Esquel mit dem Geldbezug bei Western Union nicht erfolgreich waren, wollen wir es in Bariloche versuchen. Aber nur das, denn auf iOverlander lesen wir die Warnung, dass auch hier Touristenautos aufgebrochen und ausgeräumt werden. Müssen wir nicht noch ein zweites Mal haben. Wir haben Glück und können in der Nähe parken. Zuerst holt Theres ihren Auftrag ab und danach ich. So bleibt immer jemand im Auto. Mühsam halt, aber unsere Vorsichtsmassnahme in dieser Stadt, die uns per se unsympathisch ist. Hier ist auch Zeit, unsere Koch-Brennstoffe wieder zu ergänzen. Und wir wissen ja seit geraumer Zeit, dass wir für den Vergaserkocher ein Lösungsmittel brauchen, welches man im Malereibedarf kauft. Unsere Gaspatronen erhalten wir in der Eisenwarenhandlung.

 

Ab hier sind wir erneut auf der Route, die wir vor 32 Jahren mit den Fahrrädern befahren haben und erinnern uns noch gut daran.

Nun geht es also auf der 7-Seen Route nordwärts. So richtig kann uns die Landschaft nicht begeistern, weil es halt ein bisschen zu fest wie in der Schweiz aussieht. Die Region wird ja auch als «Schweiz Argentiniens» bezeichnet.

Kurz nach Junin de los Andes geht es erneut in Richtung chilenische Grenze, zum Paso Tromen. Hier hatten wir vor 32 Jahren ein schon fast traumatisches Erlebnis mit den Fahrrädern. Wir schoben nämlich sozusagen den ganzen Tag die Räder durch den Sand. Fahrbar war es kaum. Und abends beim Aufstellen des Zeltes sahen wir noch den Ort in der Ferne, wo wir am Morgen das Zelt abgebrochen hatten. Jetzt ist asphaltiert.

Kurz vor dem Paso Tromen mit seinen fantastischen Araukarienwäldern stoppen wir, um an derselben Stelle, an der ein Bild mit unseren Fahrrädern entstand, dieses Mal den Toyota mit Araukarien und dem Vulkan Lanin im Hintergrund zu fotografieren.

 

Anmerkung: Offenbar haben wir entlang dieser sieben Seen kaum Seen und Landschaften fotografiert. Vermutlich sah es zu ähnlich wie zuhause aus.

Wieder in Chile geht es erneut südwärts, was unsere Leser erstaunen mag. Wir haben die Route aber so gewählt, weil wir unbedingt auch die chilenische Seenlandschaft nochmals besuchen wollten, von welcher wir mit dem Fahrrad damals nur einen Teil gesehen hatten.

 

Pucon, damals ein Ferienort der Reichen, ist zum Hotspot der Pauschaltouristen aus Südamerika und der Rucksackreisenden aus Europa geworden. Den Vulkan Villarica haben wir schon damals bestiegen, daher geht es nun zügig weiter an ruhigere Orte.

 

Doch zuvor wollen wir ein weiteres Mal in der Geschichte kramen und versuchen das Fundo «Coinco» am Ufer des Lago Villarica zu finden. Da waren wir zu Gast bei deutsch-chilenischen Familien (ihre Vorfahren waren anfangs des 20. Jahrhunderts aus Deutschland eingewandert), wir hatten sie auf der Carretera Austral mehrfach getroffen. Tatsächlich haben wir diesen Ort wieder gefunden. Federicos Land oberhalb der Strasse ist jetzt mit Villen überbaut, aber eine Quartierstrasse ist nach Federico (alle nannten ihn Onkel Fritz,) benannt und eine nach Emita (Emma), seiner Frau. Das hat uns schon einen Moment wehmütig gemacht. Zu den jetzigen Besitzern des Fundos am Ufer des Sees konnten wir leider keinen Kontakt herstellen.

 

Faszinierend sind die Termas Geometricas. Heisse Thermalquellen auf der Südostseite des Vulkans Villarica. Diese Thermen sind von einem Architekten wunderbar gestaltet worden und liegen in einer ca. 500 Meter langen ca. 30 Meter tiefen, engen Schlucht, in welcher zahlreiche Badebecken liebevoll in die Natur eingefügt wurden. Wir verbringen herrliche, entspannte Stunden im bis zu 42 Grad warmen Wasser.

 

Vorbei an diesen herrlichen, klaren und kühlen Seen Südchiles erreichen wir am Silvesterabend die Abhänge des Vulkans Osorno. Hoch über dem Lago Llanquihue finden wir einen einigermassen windgeschützten Stellplatz mit herrlicher Aussicht sowohl auf den See wie auf die schneebedeckten Hänge des Vulkans. So rutschen wir ganz ruhig, nur mit uns allein und einer Flasche Sekt ins neue Jahr.

Für den Neujahrstag steht nach dem Hochfahren zu den Skiliften an den Schneehängen des Osorno (ziemlich abgehalftert und somit etwas trostlos) die Umrundung des Lago Llanquihue an, sowie einer der Hauptgründe, auch nochmals in diese Region zu fahren: Tom will «Kuchen essen in Frutillar», einer deutschen Siedlung mit offenem Blick über den See zum Osorno.

 

Auf dem Weg entlang des Sees fährt uns ein Landcruiser ähnlicher Bauart wie unserer vor die Nase. Als er bemerkt, wen er hinter sich hat, fährt er rechts ran. Es ist Freddo aus Bamberg, der hier unterwegs ist, nachdem er sein Auto von Afrika hierher verschifft hat. Wie üblich in solchen Fällen halten wir einen kurzen Schwatz. Er fährt südwärts in Richtung Carretera Austral, wir ab heute wieder nordwärts.

 

Nachdem wir unsere Bäuche mit leckerem Kuchen und Kaffee vollgeschlagen haben (unser Neujahrsmenü quasi), steuern wir bald auf der Panamericana (hier eine vierspurige Autobahn mit Mautstellen) nordwärts, um in die Region der Vulkane Llaima (der aktivste Chiles) und Lonquimay (wieder mit Skigebiet) zu gelangen.